Samstag, 12. März 2011

8. Dalian-Xingang

Sonntag, 27. Februar 2011 (52. Tag) Shanghai – Dalian

Jose legt heute meinen Couchtisch und den Schreibtisch komplett mit einem neuen Anti-Rutschgitter aus. Reine Vorsichtsmaßnahme oder hat das einen besonderen Grund? Böse Vorahnung!
Gegen 17:00 Uhr sehen wir das Lotsenboot kommen. Die See ist sehr unruhig und an Bord alles ziemlich vereist. Es nähert sich zusätzlich ein Schlepper. Der lehnt sich kurz darauf mit seiner gepolsterten Nase bei uns seitlich an und schwankt dadurch mit uns im Takt. Der Lotse steigt nun aus dem flachen Lotsenboot rüber auf den Schlepper. Von dort über die auf dem Vorschiff zur Sicherheit ausgelegten Planen auf unsere Strickleiter und dann rauf in unsere Ladeluke. Ziemlich abenteuerlich, nicht ganz ungefährlich, aber offenbar gut durchdacht.
20:00 Uhr Anruf aus dem Office. Die Einwanderungsbehörde bittet zur Gesichtskontrolle. Da es den Beamten bei dem schlechten Wetter offenbar zu mühsam ist, wegen uns fünf Einwanderern aufs Schiff zu kommen, müssen wir mit dem Agenten zur Behörde fahren. Riesengebäude, Sonntagabend natürlich fast menschenleer. Der zuständige Beamte ist gerade einkaufen gefahren. Also WARTEN. Nachdem er wieder auftaucht werden mit strenger Miene unsere Pässe mit unseren Gesichtern abgeglichen und die VISA überprüft. Dann bringt uns der Chauffeur wieder zurück zum Schiff. Ordnung muss nun mal sein!

Montag, 28. Februar 2011 (53. Tag) Dalian
Brrrr KALT heute, -5°C eisiger Wind und Sonnenschein. Die Klimaanlage hat sich noch nicht richtig eingespielt. Nur 19°C in der Kabine. Dicke Wintersachen an und raus in die Stadt. Wir marschieren zu Fuß Richtung Gate als plötzlich neben uns ein junger Mann von der Hafenmannschaft anhält. Er hat offenbar Mitleid mit den vier frierenden Fußgängern und nimmt uns einfach so mit in die Stadt. Wir verabschieden uns mit einem ChiàChià (Dankeschön); denn eine Bezahlung lehnt er strikt ab.
Bei einem Kaffee in einer Hotel-Lobby erkundigen wir uns nach dem nächstgelegenen Internet-Cafe. Die Beschreibung, aus dem Haupteingang links, 2. Straße links und dann auf der rechten Seite ist eigentlich ausreichend. Aber, wie bereits erwähnt, die Leute sind hier unglaublich nett und aufmerksam. Er kommt nach fünf Minuten wieder und hat für uns eine detaillierte Skizze angefertigt, die uns dann auch sicher an unser Ziel bringt. Einfach so – was können wir hier alles noch lernen?
Die folgende kleine Geschichte von einem Mittagessen in Dalian/China halte ich deshalb so ausführlich fest, weil sie so typisch ist für die Art und Freundlichkeit der Menschen hier.
Nach Erledigung unserer Emails haben wir Hunger und steuern ein typisches kleines Restaurant um die Ecke an. Hoppla, jetzt wird’s ernst! In Dalian gibt es so gut wie keine Touristen und daher auch selten Hilfen in englischer Sprache. Wir bekommen in dem gut besuchten Lokal (Mittagszeit) einen Tisch zugewiesen und der Kellner bringt heißen Tee zum Aufwärmen. Die Speisekarte ist natürlich nur auf Chinesisch und hilft uns absolut nicht weiter. Wir konzentrieren uns also erst mal auf die Teller auf den Nachbartischen. Fröhliche junge Leute, die nicht böse sind, dass wir ihr Essen so genau inspizieren. Außerdem kommt jetzt zum ersten Mal mein Wörterbuch ohne Worte zum Einsatz.
Also, wir möchten gebratene Nudeln (wie nebenan am Tisch links) mit Rind- oder Schweinefleisch (jeweils das Bild eines Rindes und Schweines im Buch gezeigt). Löffel und Gabel (ebenfalls siehe Bilderbuch) Kopfschütteln, gibt es hier wohl nicht. Also müssen wir wohl oder übel mit Stäbchen essen, na denn man tau. Die mittlerweile drei Kellner(innen) lächeln und verschwinden. Kurz darauf präsentiert man uns als erstes die Rechnung für zwei Mittags-Menüs: 32 Yuan Vorkasse (umgerechnet ca. 3,60 €). Man hat wohl Angst, dass wir das Essen hier nicht überleben könnten oder sehen wir etwa so wenig kreditwürdig aus? Egal, es geht los, die Suppe kommt. Brühe mit Einlage, sieht aus wie Algen oder sowas, schmeckt aber nach Fisch. Sehr lecker. 1:0 für uns.
Dann kommt ein großer Teller mit kaltem Fleisch, hauchdünn geschnitten mit vielen Gewürzen und in einer dunklen Sauce (Soja?). Unsere Spekulationen, was wir hier wohl vor uns haben könnten, führen über Zunge zu Pansen oder Lunge, zu Hundefleisch und zur Ex-Manneskraft eines Stieres. Rina verweigert strikt die Nahrungsaufnahme. 'Nee ick esse datt nich!' Ich denke mir, ich weiß ja zum Glück nicht was es ist, also mal kosten. Mmhhm nicht schlecht, sehr pikant, nee SAUSCHARF!!! Aber diese komischen Fasern an der Seite, das sieht schon eigenartig aus! Na sagen wir mal 0:0 unentschieden.
Mittlerweile werden wir im ganzen Laden unauffällig beobachtet. Die Köche stellen hinter Ihrer Scheibe zeitweise die Arbeit ein und schauen uns schmunzelnd zu. Dann die gebratenen Nudeln. Der Kellner hilft uns die Nudeln mit den Stäbchen umzuschichten, damit die vielen Gewürze besser daran haften bleiben. Dann bringt er strahlend zwei Löffel, die er doch noch irgendwo aufgetrieben hat. Trotz kritischer Beobachter klappt das Essen mit den Stäbchen überraschend gut. So viele fröhliche Tischnachbarn hatte ich jedenfalls selten beim Essen und die Nudeln waren soooo lecker. Sieg auf der ganzen Linie, 2:0 für uns.
Da wir ja schon vorm Essen bezahlt haben, lassen wir abschließend 5 Yuan Trinkgeld auf dem Tisch liegen und gehen. Wir sind schon fast hundert Meter vom Lokal entfernt, da kommt eine der Kellnerinnen uns aufgeregt hinterhergelaufen. Wir hätten 5 Yuan (ca. 60 Cent) am Tisch vergessen. Unseren Versuch ihr klarzumachen, dass der Schein für Sie ist, weist sie energisch zurück und besteht auf Rückgabe. Kaum zu glauben, aber wahr!
Den Nachmittag verbringen wir mit einem ausgiebigen Stadtbummel. Wir wärmen uns immer wieder mal in diversen Geschäften und Cafés auf. Zu kaufen finden wir kaum etwas. Viel zu teuer! In Shanghai mit seinen 20 Millionen Einwohnern konnte man erwarten, dass es auch viele reiche Leute gibt. Aber hier in Dalian fällt uns besonders auf, dass in dieser bei uns relativ unbekannten Stadt (immerhin 2x so groß wie Berlin) in einigen Bereichen extremer Reichtum Einzug gehalten hat.
Es wimmelt von Hotels der Spitzenklasse, teuren Restaurants, edlen Bankhochhäusern, französischen Luxus-Boutiquen und vielen Nobelkarossen deutscher und europäischer Automarken. Gleich nebenan dann wieder das China, wie man es sich eigentlich so vorstellt. Sehr einfach, ja zum Teil sehr arm. Diese Widersprüche begleiten uns in diesem Land ja schon eine ganze Weile. Hier ein Cappuccino für 5,00€, nebenan ein komplettes Mittags-Menü für 1,80€. Hier ein Porsche neuester Bauart, daneben ein schwer beladenes Dreirad mit einem abgemagerten Fahrer, der sich durch die Kälte quält. Wir fragen uns immer wieder: Können solche extrem krassen Missverhältnisse auf Dauer gutgehen? Kann man Stabilität erzwingen? Die Zukunft wird es zeigen.
Am späten Nachmittag versuchen wir mit einem Taxi zurückzufahren. Leider kein Erfolg. Wir zeigen insgesamt fünf Taxifahrern unseren mitgebrachten Zettel mit den Hafenangaben in chinesischer Schrift aber alle winken ab. Wissen die nicht wo der Hafen ist? Haben die etwa Angst vor uns Fremden? Oder steht da was Falsches auf unserem Zettel? Wir wissen es nicht.
Also muss wieder mein Taschen-NAVI herhalten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem GPS-Empfang (zu viele Hochhäuser) klappt es dann doch wieder zuverlässig. Leider müssen wir bei dieser Saukälte die 5 km bis zum Schiff zu Fuß laufen. Zum Glück hat sich Rina in der Stadt noch ein Paar gefütterte Winterstiefel gekauft, sonst wären ihr wohl unterwegs in ihren Sommerschuhen die Füße abgefroren. Zurück an Bord erfahre ich vom SuperCargo, dass wir Fracht für einen zusätzlichen Hafen bekommen haben: Long Beach in Kalifornien. - Na das sind doch mal schöne Aussichten bei dieser Saukälte!

Dienstag, 01. März 2011 (54. Tag) Dalian
Denkwürdiger Tag heute! Warum? Heute beginnt offiziell mein Rentendasein. Sozusagen der erste Tag vom Rest meines Lebens. Musie - ist die Rente schon auf dem Konto? Ach nee, die gibt’s ja seit geraumer Zeit erst, wenn man den laufenden Monat überlebt hat!
Shore-Leave bis heute 15:00 Uhr, also kein Landgang mehr. Stieg Larssons ‚Verdammnis‘ weiterlesen und vom gestrigen Tag erholen.
Beim Verladen gibt es heute wohl größere Probleme. Nach dem Abendessen liegen wir hier immer noch. Keine konkrete Auskunft über die voraussichtliche Abfahrtszeit. Einen ganzen Tag verplempert. Nicht ganz so schlimm, weil diese Stadt aus meiner Sicht nicht so was Besonderes ist.

Mittwoch, 02. März 2011 (55. Tag) Dalian – Tianjin (Hafen: Xingang)
Gegen 01:00 Uhr heute Nacht haben wir Dalian Richtung Tianjin verlassen. Nur gut 200 Seemeilen. Nach dem Mittagessen gehen wir vor dem Hafen Xingang erst mal wieder vor Anker. Warten! Ein schöner Tag. Die Sonne scheint. Aber es ist immer noch grimmig kalt.
Der Kapitän informiert uns, dass unser Süsswasser langsam zur Neige geht. Unsere bordeigene Aufbereitungsanlage funktioniert nur, wenn die Hauptmaschine läuft. Wenn wir in Fahrt sind produziert sie ausreichende 15-16 Tonnen am Tag. Da wir im Moment aber viel liegen oder nur kurze Etappen fahren, kann es schon mal eng werden. Wir haben noch 40 Tonnen zur Verfügung. D.h. eventuell nachbunkern. Im Moment ist ihm der Preis noch zu hoch. Der ‚alte Fuchs‘ pokert!
Auch Tianjin ist eine riesige, bei uns nahezu unbekannte, Stadt mit rd. 10 Millionen Einwohnern. Sozusagen Vorort und Hafenstadt von Bèijing (bis Peking sind es 120 km). China hat über einhundert Millionenstädte (wir gerade mal drei oder vier – bei Köln bin ich mir nicht sicher?).
Wer kennt schon die größte Stadt der Welt? - Chongqing in der Nähe des 3-Schluchten-Staudamms am Yangtsekiang hat etwa 32 Millionen Einwohner. (Doppelt so viele, wie bei uns die fünf neuen Bundesländer zusammen!) Was spielt es da für eine Rolle, wenn wegen eines ‚kleinen‘ Stausees mal eben 1,5 – 2 Millionen Menschen umziehen müssen!? Wahnsinn!

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